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Denk-Anstöße

Umarmt und gegängelt -

der „German Mittelstand“


E. Heinz-Joachim Hill,  8. Juli 2019

KMU, kleine und mittelgroße Unternehmen, und ich möchte Familienunternehmen, Mittelstand und Startups hinzuzählen – diese Themen beschäftigen mich seit vielen Jahren. Ende der 1970er-Jahre gehörte ich zum Management, das unter anderem die deutsche Tochtergesellschaft des finnischen Weltkonzerns Nokia aufbaute. Wir waren ein echtes Startup, haben richtig klein angefangen und uns im ersten Jahr in der deutschen Regulatorik derart verheddert, dass wir in dem Jahr fast wieder hätten aufgeben müssen. Nur durch eine kräftige Finanzspritze der Konzernmutter konnte das durchgestanden werden. Aber welches Startup, welches kleine Unternehmen hat die Möglichkeit, eine Finanzspritze zu bekommen, wenn regulatorische Belange die Liquidität auf null fahren? Seit damals lässt mich der Themenkomplex KMU / Familienunternehmen / Mittelstand / Startups nicht mehr los. Erst recht nicht, seit ich als Unternehmensinhaber selbst verantwortlich für meine Unternehmensgruppe wurde.


Handwerk und Fertigung, Handel, Dienstleistungen, Geldwechseln, Wirtschaften begleiten unsere Gesellschaft seit Jahrtausenden und unterliegen einem stetigem Wandel. Familienunternehmen, Mittelstand und KMU sind Teil davon. Aus dem Drang der Menschen, etwas zu unternehmen, um leben zu können, wurde der Begriff „Unternehmen“ einer Normierung unterworfen. Unternehmen müssen Gewinne erzielen. Sie sind es, die die Wertschöpfung in diesem Land erwirtschaften. Ohne Unternehmen gäbe es keine Produkte und Dienstleistungen, keine Arbeitsplätze, keine Finanzierung öffentlicher Institutionen und keine Daseinsfürsorge. Innovation und Prosperität sind nur möglich, wenn die Rahmenbedingungen stimmen – die wirtschaftlichen, die rechtlichen und die politischen. Und vor allem, wenn dieselben Rahmenbedingungen für alle Marktteilnehmer gelten.


Irrationales Bild vom Unternehmertum


Heute ist deutlicher denn je, dass wohlklingenden Sätzen wie: „Der innovative Mittelstand wird auch weiterhin als Erfolgsmodell ‚Made in Germany‘ gelten“, die nackte politische Realität gegenübersteht: Phantasien in Richtung Staatskonzerne, Phantasien über Enteignungen von Unternehmern, staatslenkende Eingriffe in Unternehmen über Gesetze, erdacht von Menschen, die Unternehmensverantwortung ausschließlich aus der Theorie kennen. Das alles flankiert von Medien, die nicht müde werden, ein irrationales Bild von „dem Unternehmer“ zu zeichnen. Mit Kenntnis über diejenigen, auf denen der Wohlstand in unserem Land aufbaut, hat das nichts zu tun. Ich meine hier nicht den persönlichen Wohlstand der Firmeninhaber, sondern den der in diesen Unternehmen arbeitenden Menschen und deren Familien. Und dort sind die Wählerstimmen, um die es Politikern und Parteien gehen müsste.


Die Bankenkrise und die aktuelle Krise der Automobilindustrie, die die Zeichen der Zeit zwar gesehen hat, aber durch Betrug versucht hat, die alten Geschäftsmodelle weiterzuverfolgen, statt sich der Realität zu stellen, zeigen mehr als deutlich, wie wichtig eine Wirtschaft ist, die auf vielen Schultern und vielen Geschäftsmodellen ruht. Fast die Hälfte aller Weltmarktführer in ihrem Segment kommt aus Deutschland. Die meisten davon (70 Prozent) sind Mittelständler oder Familienunternehmen, Unternehmen, die Zeit hatten, sich zu entwickeln, teils seit der Industrialisierung, teils seit dem wirtschaftlichen Neuanfang nach dem 2. Weltkrieg. Es ist aber zu befürchten, dass die Zahl relativ abnehmen wird. Denn die Rahmenbedingungen lassen trotz aller Sonntagsreden solche Entwicklungen kaum noch zu.


Gelebtes Desinteresse, Ignoranz und Ausgrenzung


Wie Veränderungen für KMU aussehen können, darüber wird derzeit in unserer Gesellschaft zunehmend diskutiert, vor allen Dingen aber wird es gelebt – und zwar nicht zum Wohl der Unternehmen, der Inhaber und deren Beschäftigten und deren Familien. Der Bogen im Umgang mit inhabergeführten Unternehmen reicht von offen demonstriertem Desinteresse, über Ignoranz, Ausgrenzung und Gängelungsversuchen bis zu Ab- und Ausgrenzung. 


Für (fragwürdige) medienwirksame Auftritte mit Unternehmensgrößen sind Politiker gerne zu haben. Wobei meistens das Management von Konzernen zu den Auserwählten gehört und nicht in Eigenverantwortung handelnde mittelständische Unternehmerinnen und Unternehmer. Die jedenfalls erfahren eines so gut wie nie: echte Wertschätzung. Stattdessen werden sie zwischen verschiedenen Institutionen und deren nicht aufeinander abgestimmten Spielregeln zerrieben. Das sehe ich mit Sorge und sehe dort den größten systemischen Handlungsbedarf. Auf die finanziellen Risiken, die Unternehmer eingehen (müssen), wird keine Rücksicht genommen. Im Gegenteil: ein vollkommen verzerrtes Unternehmerbild bestimmt in weiten Teilen die öffentliche Diskussion. Dabei geht die Dramatik, in der Inhaber sind, unter: Wenn ein Unternehmen nicht erfolgreich ist, stehen sie mit allem, was ihnen gehört, vor dem Aus. Selber schuld? So zu denken, ist zynisch und wird der Realität nicht gerecht. Inhaber können keine D&O-Versicherung abschließen wie ein angestellter Manager, sich bei Misserfolg schadlos halten und aus dem Staub machen, nett garniert mit hochdotierten Beraterverträgen, wie sie gerade bei der DB Deutsche Bahn bekannt wurden.


Die meisten Arbeitnehmer in Deutschland, der allergrößte Teil der Auszubildenden, die Mehrheit aller Familien leben gut - und gerne von und mit ihren regional verankerten kleinen und mittelständischen Unternehmen. Deren Inhaber reden nicht großmäulig von Verantwortung und werfen Nebelkerzen - sie leben Verantwortung. Jeden Tag. Auf offener Bühne. Sie  haben es nicht verdient, mit Konzernmanagern in einen Topf geworfen zu werden, die den Hut nehmen, wenn es brenzlig wird. Die überbordende Regulierung gilt denjenigen, die nicht zu regulieren sind. Es haben aber diejenigen darunter zu leiden, die gar nicht die Kapazitäten haben, sich mit juristischen Spitzfindigkeiten und einem Lobbyapparat in Berlin und Brüssel zu entziehen.


Jede/r Abgeordnete - in welchem Parlament auch immer - sollte den Praxistest machen, bevor er oder sie einem neuen Gesetz oder einer neuen Regelung zustimmt. Sie sollten zu ihren Unternehmen vor Ort gehen und sich im laufenden Betrieb zeigen lassen, wie und vor allem ob es überhaupt umsetzbar ist und mit welchen Folgen. Manches Wahlergebnis könnte dann freundlicher ausfallen.


Gesetzgebung hält Unternehmen in der "Kreisklasse" fest


Die Gesetzgebung hält die Unternehmen heute in der „Kreisklasse“, ein Aufstieg in eine höhere Klasse, gar in die Champions League ist mit den derzeitigen Rahmenbedingungen kaum möglich. Die am vorigen Wochenende bekannt gewordenen steuerlichen Erleichterungen für Personenunternehmen durch das sogenannte Unternehmensstärkungsgesetz sind ein wichtiger Schritt, doch er heilt die systemischen Fehler nicht.


Es geht nicht um blinde Liberalisierung. Es geht um Voraussetzungen für inhabergeführte Unternehmen, die an eine moderne Wirtschaftswelt angepasst sind. In Deutschland ist die Bereitschaft, die Wirtschaft an die kurze Leine zu legen, seit den 1960er-Jahren, nachdem der Wiederaufbau mehr oder weniger abgeschlossen war, sehr groß. Und es geht um Wissen, um betriebswirtschaftliche Zusammenhänge und Mechanismen in den öffentlichen Institutionen bis in die EU-Institutionen – zum beiderseitigen Vorteil. Denn es kann keinem daran gelegen sein, dass die positiven Effekte, welche die vielfältige Unternehmenslandschaft in Deutschland für das gesamte Gemeinwesen hat, Schaden nehmen.


Joe Kaeser brachte es am 4. Juni beim Wirtschaftstag des CDU-Wirtschaftsrats in Berlin auf den Punkt: Man lebe von der Symbiose miteinander, so der Siemens-Chef in seiner Rede vor dem Gremium. Wer die Kleinen zugrunde gehen lasse, mache auch die Großen kaputt.


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