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Denk-Anstöße

Unternehmer in der Zeitfalle


E. Heinz-Joachim Hill,  07. Oktober 2019

Vorige Woche las ich in der Rheinischen Post die Schlagzeile: „Die ‚Deutsche Angst‘ lässt nach.“ Bei solchen Berichten graust es mir als Analytiker. Auch wenn sie auf einer traditionellen Studie (durchgeführt von der R+V Versicherung) beruhen. Interessant dabei ist, dass nach dieser Befragung Ängste hinsichtlich wirtschaftlicher Fragen in der Bevölkerung eine untergeordnete Rolle spielen. Zeitgeist?


Vor Kurzem fiel mit ein Vergleich der international bedeutenden Banken in die Hände. Deutschland ist seit dem Wegschrumpfen der Deutschen Bank darin nicht mehr vertreten. Das scheint mir symptomatisch. Sind doch Unternehmen und Banken hierzulande durch Regulierungs- und Umverteilungs-Aktivitäten so stark behindert, dass sie im internationalen Kontext immer mehr an Substanz verlieren. Wer groß und international genug ist, entzieht sich durch Verlagerung des gesamten Unternehmenssitzes oder Tochtergesellschaften. Unser „German Mittelstand“ ist international zunehmend abgeschlagen.


Unser Leben und unser Handeln sind nicht nur von Interessenlagen bestimmt. Vielmehr sind die jeweiligen Interessenlagen verknüpft mit Zeitzyklen. Essen und Trinken beispielsweise sind zeitkritische Tätigkeiten. Auch wenn das nicht jeder Dienstleister so sieht – und das Bordrestaurant der Deutschen Bahn wieder einmal nicht einsatzfähig ist.


Eines meiner beliebtesten „Zeitbeispiele“ betrifft – neben der Deutschen Bahn und dem Berliner Flughafen – die USA, meinen derzeit absoluten Champion. Einer der wohlhabendsten und mächtigsten Staaten der Welt hatte schon mehrmals das Problem, ihren öffentlichen Dienst nicht mehr bezahlen zu können. Viele Bedienstete gerieten in Existenzängste und real in Existenznot, konnten z.B. Kredite nicht mehr begleichen.


Ein in Deutschland undenkbares Szenario? Unser „Heilmittel“ dafür: Kassenkredite . Ist in den Vereinigten Staaten von Amerika der öffentliche Dienst das Stiefkind der Gesellschaft, so sind das in Deutschland die Beschäftigten in und Inhaber von mittelständischen Unternehmen. Industrie, Wirtschaft, Ökonomie und Soziales sind fragil miteinander verbunden, auch zeitlich.


Vom Überlebenszyklus zur Lebensplanung


Die Arbeitnehmerkultur veränderte sich im Verlauf des zurückliegenden Jahrhunderts von einem sehr kurzfristigen Hand-in-den-Mund-Zeitzyklus fürs Lebensnotwendigste hin zu Zyklen im Monatsrhythmus. Die neue Taktung der Zeitzyklen veränderte die Planbarkeit. Aus einem Überlebenszyklus von vielen wurde die für eine große Masse erreichbare Lebensplanung im Monats-, Quartals oder Jahresrhythmus. Das hatte eine tiefgreifende Konsequenz: Der Erwerb durch nicht-selbstständige Tätigkeiten wurde immer attraktiver. Ein Handwerker beispielsweise hat in der Industrie ein planbares Einkommen, das er in der Selbstständigkeit nicht hat.


Gleichmäßigkeit ist nicht die Welt von Selbstständigen und Unternehmern. Ihre Treiber und Ziele sind andere. Der Standard der Gleichmäßigkeit im Selbstverständnis der Gesellschaft steht der volatilen Praxis der Selbständigen entgegen. Das Ungeahnte, Unvorhergesehene wird zum Störfaktor. Ihre (Lebens-)Planung ist risikoreicher, ungeregelter, auch zeitlich.


Das hat Folgen. Etwa, wenn ein Selbstständiger versucht, einen Kredit aufzunehmen. Bei gleichem Jahreseinkommen wie ein Angestellter wird der Selbstständige mindestens einen Prozentpunkt höhere Zinsen als „Risikozuschlag“ zahlen müssen – weil der Zeitzyklus (vermeintlich) nicht zuverlässig kalkulierbar ist.



Zeitzyklische Missverständnisse führen zu Wettbewerbsverzerrung


Wo kommt es zu zeitzyklischen Missverständnissen? Und weshalb führen diese zu Wettbewerbsverzerrungen und praxisfremden Entscheidungen?


Nehmen wir die Regelungen im Insolvenzrecht . Juristische Personen wie Aktiengesellschaften, GmbHs, Stiftungen oder Vereine müssen einen Insolvenzantrag stellen, wenn drohende Zahlungsunfähigkeit besteht oder eine bilanzielle Überschuldung vorliegt. Insolvenzrechtlich ist von Zahlungsunfähigkeit die Rede, wenn ein Unternehmen innerhalb einer Frist von 21 Tagen weniger als 90 Prozent seiner Verbindlichkeiten bedienen kann. Überschuldung liegt vor, wenn das Unternehmens-, Stiftungs- oder Vereinsvermögen nicht mehr zur Deckung bestehender Verbindlichkeiten ausreicht.


Wird innerhalb von drei Wochen kein Insolvenzantrag gestellt, obwohl eine Überschuldung oder die Zahlungsunfähigkeit vorliegen, kann das als Insolvenzverschleppung unter Strafe gestellt werden. Bei drohender Zahlungsunfähigkeit hingegen kann das Unternehmen sich entscheiden, die Insolvenz zu beantragen, um so den Weg für eine mögliche Sanierung und ein Schuldenbereinigungsverfahren zu ebnen.


Diese 21-Tage-Frist richtet mehr Schaden an, als dass Schaden abgewendet wird. Denn sie ist unrealistisch im Ablauf von Unternehmenszyklen. Und mehr: Die Regelung kann in höchstem Maße wettbewerbsverzerrend wirken. Grundsätzlich gilt das Insolvenzrecht für alle Marktteilnehmer. Mit Ausnahme von den nicht-insolvenzfähigen Organisationen. Und das sind viele: alle Körperschaften des öffentlichen Rechts, alle nicht-bilanzierenden Gebietskörperschaften. Juristische Personen, die sich ganz oder teilweise in öffentlicher Hand befinden, sind zwar nicht vor Insolvenz geschützt. Allerdings übernehmen deren Eigentümer (öffentlich-rechtliche Institutionen) bei Insolvenztatbeständen bedarfsgerechte Bürgschaften und sichern so marode Unternehmen. In Verbindung mit regional uneinheitlichen Reportings, aber auch dem Gerichtskostengesetz sind Wettbewerbsverzerrungen im Markt die Folge.


Im Zusammenspiel der Wirtschaft ist die Anpassung an Zeitzyklen elementar. Von außen initiierte Störungen der Zyklen führen zu nicht unwesentlichen Verwerfungen.



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